Neue Chancen auf Kapital für Start-ups und wachstumsorientierte Unternehmen

Der Bundestag hat am Freitag, den 17.11.2023, das Gesetz zur Finanzierung von zukunftssichernden Investitionen (Zukunftsfinanzierungsgesetz – ZuFinG) beschlossen. Dieses Gesetz bezweckt u. a., die Aufnahme von Eigenkapital und den Zugang zum Kapitalmarkt für junge und wachstumsstarke Unternehmen deutlich zu erleichtern. Dazu erfolgen umfangreiche Ergänzungen und Änderungen im Gesellschafts-, Kapitalmarkt- und Steuerrecht. Die Rechtsform der Aktiengesellschaften (AG und Societas Europaea -SE- mit Sitz im Inland) sollen u. a. durch die (Wieder-)Zulassung von Mehrstimmrechtsaktien gestärkt und die Förderung von Mitarbeiterbeteiligungen ausgeweitet werden.

Zugang zum organisierten Kapitalmarkt zur Eigenkapitalgewinnung

Neben der bestehenden Regulatorik und den nicht unerheblichen Kosten, die den Unternehmern mit dem Gang an den organisierten Kapitalmarkt abverlangt werden, sorgen sich vor allem kleine und mittelständische Unternehmensinhaber (KMU) und Gründer vor dem Verlust von Einfluss und Gestaltungsfreiheit, die bisher in Deutschland oder in der EU die Aufnahme von Eigenkapital an der Börse häufig mit sich gebracht hat. Die Europäische Kommission hatte, diese Herausforderung erkennend, am 07.12.2022 einen Verordnungsvorschlag (Nr. 2022/0411(COD)) zur Steigerung der Attraktivität der öffentlichen Kapitalmärkte und zur Erleichterung des Kapitalzugangs für kleine und mittlere Unternehmen (EU Listing Act) in den Gesetzgebungsprozess eingebracht, der unter anderem flankiert wird durch den Entwurf einer neuen Richtlinie zur Regelung der Struktur von Aktien mit Mehrfachstimmrechten von Gesellschaften, die beabsichtigen ihre Aktien an einem KMU-Wachstumsmarkt handeln zu lassen (EU-Mehrstimmrechtsrichtlinie, Nr. 2022/0406 (COD)). Diese europäischen Regeln stärken letztendlich die EU-Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63ff AEUV).

Wiederbelebung Mehrstimmrechtsaktien

Auf nationaler Ebene greifen die Verfasser des Zukunftsfinanzierungsgesetzes die bereits EU-rechtlich geprägten Überlegungen auf und schlagen mit der Einführung eines neuen § 135a AktG die erneute Zulassung von Mehrstimmrechtsaktien vor.

Was im Recht der GmbH (§ 47 Abs. 2 GmbHG) unstreitig schon lange möglich ist, wurde im Aktienrecht seit 1998 durch das Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG) in § 12 Abs.2 AktG verboten. Aktien, die ihrem Inhaber mehr Stimmen gewähren als ihrer auf das Grundkapital bezogenen Beteiligungsquote entsprechen (dual class shares), durften nicht gebildet werden, um eine Übereinstimmung von Kapitaleinsatz und Stimmrechtseinfluss herzustellen (one share – one vote). Dies habe 1998 angeblich der Erwartung des Kapitalmarktes entsprochen und sollte die „Eigentümerkontrolle“ verbessern (RegBegr. BT-Drs. 13/9712,12). Die GmbH war aus diesem Grunde daher die für Gründer günstigere Rechtsform, da sie in der Satzungsgestaltung deutlich flexibler ist als das AktG und Mehrstimmrechte ermöglicht.

Die großen Volkswirtschafts- und Kapitalmarkträume konkurrieren aber um die Blue Chips und Einhörner von morgen. Unternehmen, die in diese Kategorien vorstoßen möchten, sind vielfach heute KMU und benötigen Wachstumskapital, um die teilweise enormen Innovationskosten stemmen zu können. Dieses Kapital beschaffen sie sich dort, wo die Bedingungen günstig sind (vgl. DAI, Auslandslistings von BioNTech, CureVac & Co., 2021). Unter anderem melden Start-ups und Wachstumsunternehmen ein vermehrtes Bedürfnis nach Mehrstimmrechtsaktien, um sicherzustellen, dass Gründer und Ideengeber trotz Eigenkapitalaufnahme an der Börse Einfluss und Kontrolle über die strategische Ausrichtung des Unternehmens nicht aufgeben müssen. Da andere Rechtsordnungen Mehrstimmrechtsaktien zulassen und dieser Umstand für KMU als wesentlicher benannt wird, ziehen Deutschland und Europa im Wettbewerb der Standorte nunmehr nach. In den USA sind dual class shares bspw. bei vielen Tech-Konzernen Standard. So kontrolliert bspw. Mark Zuckerberg mit 13,6 % Aktienkapital an META 57 % der Stimmrechtsmacht.

Wurde die „Eigentümerkontrolle“ 1998 noch als Begründung gegen die Mehrstimmrechtsaktie angeführt, dient die Bewahrung der „Gründerkontrolle“ trotz Aufnahme von Eigenkapital nunmehr neben der Stärkung der heimischen Kapitalmärkte als eines der Ziele des ZuFinG.

Wie können Mehrstimmrechtsaktien ausgegeben werden?

a. Satzungsvorbehalt, Namensaktie und sunset clause

Nach neu-§ 135a AktG muss die Ausgabe von Mehrstimmrechtsaktien in der Satzung vorgesehen werden. Sie können nur als Namensaktien ausgeben werden, um nach dem Willen des Gesetzgebers gerade jene Personengruppen zu stärken, denen ein stärkerer Einfluss auf Ausrichtung und Strategie zugebilligt werden soll. Sie können zwar zum Handel an der Börse (organisierter Markt und Open Market) zugelassen werden, doch erlöschen die Mehrstimmrechte nach Börsengang im Fall der Übertragung der Aktie (neu-§ 135a Abs. 2 AktG), spätestens aber nach 10 Jahren (sunset clause) ab Börsenzulassung ohne Übertragung (bei einmalig möglicher Verlängerung der Frist um weitere 10 Jahre). Diese Rahmenbedingungen dienen letztendlich Anlegerschutzgesichtspunkten, denn der Gesetzgeber unterstellt, dass nach einer Periode von 10 (20) Jahren an der Börse die inhaberfokussierte Zusammenballung von Stimmrechten jedenfalls aus Gründen der Finanzierung an den internationalen Kapitalmärkten nicht mehr erforderlich sein soll. Mehrstimmrechtsaktien, deren Konzept grundsätzlich den Bedingungen einer good corporate governance widersprechen und die Investoren letztlich ungleich behandeln, sollen dann dem Grundkonzept des one share – on vote wieder weichen. Nicht wenige Stimmen sehen den Nutzen derart langer Mehrstimmrechtsperioden ohnehin als fragwürdig an, da der Vorteil des anfänglichen Schutzes der Innovation und der diesbezüglichen Umsetzungsfokussierung durch Mehrstimmrechtskontrollen nach der Phase von Wachstum und Markteroberung zu einem Hemmschuh für die corporate governance werden kann, da Investoren ohne Mehrstimmrechtsaktien in geringerem Umfange fähig sind, ihre Impulse dem Unternehmen zu Gute kommen zu lassen.

b. Mehrstimmrechtsverhältnis

Mehrstimmrechtsaktien dürfen höchstens als 10faches des einfachen Stimmrechts vermitteln, neu-§ 135a Abs.1 AktG. Ein bestimmtes Mehrstimmrechtsverhältnis sieht der Gesetzgeber dagegen nicht vor. Aus diesem Grund können auch mehrere Gattungen von Mehrstimmrechtsaktien gebildet werden, die auf unterschiedliche Stimmrechtsverhältnisse ausgerichtet sind.

Diese, dem schwedischen Recht entlehnte Beschränkung auf das 10fache, dient ebenfalls dem Anlegerschutz, denn Mehrstimmrechtsberechtigte sollen dadurch gezwungen sein, einen signifikanten Anteil am Grundkapital der Gesellschaft zu halten, um ihren Einfluss durchsetzen zu können.

Das Mehrstimmrecht ist ausgeschlossen für die Bestellung von Abschluss- oder Sonderprüfern, um Stimmrechtsmissbräuchen und Einflussnahmen in unabhängige Prüfungen vorzubeugen.

c. Zustimmungsbeschluss aller Aktionäre

Die Ausgabe von Mehrstimmrechtsaktien bedarf der Zustimmung aller Aktionäre, neu-§ 135a Abs.1 AktG. Die Ausgabe dieser Aktien kann daher nur einstimmig gelingen, so dass die Einführung der Mehrstimmrechtsaktie ab einem Börsengang wohl nicht und vorher wohl eher nur gelingen kann, wenn der Kreis der Aktionäre noch von einstelliger Anzahl und die Interessen homogen sind. Da die Ausgabe von Mehrstimmrechtsaktien im Rahmen von genehmigtem Kapital nicht, wohl aber im Rahmen von Kapitalerhöhungen möglich ist, empfiehlt es sich, bereits in der Gründungssatzung von Aktiengesellschaften oder SE´s Mehrstimmrechtsaktien zu etablieren. Da im Recht der GmbH Mehrstimmrechtsanteile schon lange gebildet werden können und diese Rechtsform in der Regel von Gründern gewählt wird, ist eine formwechselnde Umwand in eine Aktiengesellschaft oder SE durch die aktienrechtliche Zulässigkeit des Mehrstimmrechts nach den Regelungen des UmwG nunmehr möglich.

Flankierende Maßnahmen zur Finanzierungserleichterung

Als weitere Forderung aus der Wirtschaft hat der Gesetzgeber in § 186 Abs. 3 AktG das Recht zum vereinfachten Bezugsrechtsausschluss bei Kapitalerhöhungen auf Kapitalerhöhungen von bis zu 20% des Grundkapitals (bisher bis zu 10%) erweitert. Wachstumsunternehmen gewinnen hierdurch eine weitere Möglichkeit zur Deckung ihres Finanzbedarf rasch eine Kapitalerhöhung durchzuführen.

Fazit

Der Finanzstandort Deutschland gewinnt durch die neuen Regelungen deutlich an Attraktivität und holt im internationalen Vergleich auf. Start-ups und Wachstumsunternehmen erhalten einen erleichterten Zugang zu Eigenkapital über den Kapitalmarkt und insgesamt zu der Rechtsform der AG. Die Unternehmen sollten sich jedoch frühzeitig strategische Gedanken zur Einführung von Mehrstimmrechtsanteilen machen, um nicht nach Aufnahme weiterer Gesellschafter und Investoren das Einstimmigkeitserfordernis nicht mehr erreichen zu können.

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