Güterstandsschaukel: Hinterziehungszinsen trotz rückwirkendem Wegfall der Schenkungsteuer?
Neues Risiko bei der „Güterstandsschaukel“: Hinterziehungszinsen trotz rückwirkendem Wegfall der Schenkungsteuer?
FG Hessen, Urteil vom 07.05.2018 – 10 K 477/17
SACHVERHALT
Die Beteiligten stritten über die Rechtmäßigkeit der Festsetzung von Hinterziehungszinsen zur Schenkungssteuer gemäß § 235 Abgabenordnung (AO).
Die Klägerin und ihr Ehemann waren in der Finanzbranche beruflich tätig. Im Zusammenhang mit dem Transfer von Kundenvermögen auf ausländische Bankkonten trat der Ehemann der Klägerin 1998 von seiner beruflichen Position zurück. Anfang des Jahres 1999 erging ihm gegenüber ein Strafbefehl wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung.
Nachdem der Ehemann der Klägerin bereits 1995 die Hälfte eines Grundstückes übertragen hatte, wendete er ihr zum 1. Januar 2000 ein Barvermögen von umgerechnet 1,8 Millionen EUR sowie die weitere Miteigentumshälfte an dem Grundstück im Jahre 2010 zu.
Am 11. Juli 2014 schlossen die Ehegatten einen Ehevertrag, durch den sie den gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft zugunsten der Gütertrennung aufhoben und den daraufhin geschuldeten Zugewinnausgleich u. a. durch Anrechnung der bisher erfolgten Zuwendungen an den Ehegatten vollzogen.
Ein im Jahre 2015 geführtes steuerstrafrechtliches Ermittlungsverfahren griff sowohl die Vermögensübertragungen (Schenkungen) als potenziell steuerstrafrechtlich relevante Vorgänge auf wie die im Jahre 2014 erfolgte Anrechnung im Wege des Zugewinnausgleiches. Im Zuge dieses Verfahrens vertrat das Finanzamt die Auffassung, dass hinsichtlich der historischen Schenkungen von einer nachträglichen Steuerfestsetzung gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG abzusehen sei, da die historischen Schenkungen in der Anrechnung auf die Zugewinnausgleichsforderung aufgegangen seien. Allerdings seien für den Zeitraum, in dem Schenkungsteuer zugunsten der Klägerin hinterzogen worden sind, Zinsen im Sinne des § 235 AO festzusetzen. Mit Bescheid vom 18. August 2016 setzte das Finanzamt Hinterziehungszinsen in Höhe von 228.585 EUR fest und legte einen Zinslauf von 147 Monaten zugrunde. Das steuerstrafrechtliche Ermittlungsverfahren wegen Hinterziehung von Schenkungsteuer wurde hingegen eingestellt.
Gegen die Festsetzung von Hinterziehungszinsen wandte sich die Klägerin mit dem Einwand, dass aufgrund des rückwirkenden (ex tunc) Erlöschens des Schenkungsteueranspruches aufgrund der Durchführung des Zugewinnausgleiches, eine von der Festsetzung von Schenkungssteuern losgelöste Festsetzung von Hinterziehungszinsen nicht von den Vorschriften der §§ 29 ErbStG, 235 AO gedeckt sei. Es fehle schlicht an einem Steueranspruch, der verzinst werden könnte.
Die Finanzverwaltung folgte dieser Argumentation nicht, sondern vertrat die Auffassung, dass dem § 29 Abs. 1 Nummer 3 ErbStG der Gedanke zugrunde liege, dass die durch den Zugewinnausgleich neutralisierten Vermögensverschiebungen vor ab ordnungsgemäß versteuert worden sein müssen. Die jedenfalls zeitweise erfolgte Steuerhinterziehung lasse die Vorschrift unberührt, weil die Verwirklichung der Steuerhinterziehung nicht von einem zufälligen Ergebnis einer späteren Anrechnung im Zugewinnausgleich abhängen dürfe. Daher könne dieser Vorschuss auch nicht entnommen werden, dass im Falle einer jedenfalls zeitweisen Steuerhinterziehung eine Abschöpfung des hierdurch erlangten Zinsvorteils nach § 235 AO nicht möglich sei. Im Übrigen folge dies auch bereits aus dem in § 235 Abs. 3 Satz 3 AO niedergelegten Gedanken, wonach die nachträgliche Änderung des der Zinsfestsetzung zu Grunde liegenden Steuerbescheides die Zinsen unberührt lasse. Schließlich hätte es der Steuerpflichtige bei Absehen von der Zinsfestsetzung in der Hand, sich durch die nachträgliche Anrechnung im Zugewinnausgleich der ihm gegenüber festzusetzenden Hinterziehungszinsen zu entziehen und die Zinsvorteile aus der Steuerhinterziehung vollumfänglich für sich zu vereinnahmen.
ENTSCHEIDUNG
Das FG Hessen schloss sich der Auffassung des Finanzamtes an und wies die Klage als unbegründet ab. Die Festsetzung der Hinterziehungszinsen gemäß § 235 AO sei rechtmäßig erfolgt.
(1) Voraussetzung für die Festsetzung von Hinterziehungszinsen sei die Verwirklichung des objektiven und subjektiven Tatbestandes einer vollendeten Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 AO. Die Feststellung der Straftat ist dabei strafrechtliche Vorfrage für die Prüfung der Rechtmäßigkeit der Zinsfestsetzung. Das Finanzgericht prüft und entscheidet selbstständig, ob die Voraussetzungen für die Entstehung der Hinterziehungszinsen gegeben sind. Auf die Durchführung eines Strafverfahrens oder gar die strafrechtliche Verurteilung als Täter kommt es hierbei nicht an. Die strafrechtliche Vorfrage wird somit nicht im Strafverfahren, sondern im finanzgerichtlichen Verfahren entschieden. Dies bedeutet auch, dass die strafrechtliche Vorfrage nicht nach den strafprozessualen Erkenntnismitteln und gerichtlichen Gewissheitsgraden beantwortet werden muss, sondern nach jenen der Finanzgerichtsordnung (FGO).
(2) Das Gericht bewertete die Zuwendung des Barvermögens an die Klägerin als schenkungsteuerpflichtige Zuwendung im Sinne der §§ 1 Abs.1 Nr.2, 7 Abs.1 Nr. 1 ErbStG. Eine Steuerhinterziehung liege hier in Form der Verkürzung von Schenkungssteuern im Sinne von § 370 Abs. 4 AO vor. Da die Klägerin ihre Anzeigepflicht nach § 30 Abs. 1 und Abs. 2 ErbStG nicht erfüllt und somit die Finanzbehörde pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis gelassen hat, wurde eine Schenkungsteuer für diese Zuwendung aufgrund der nicht erfolgten Anzeige nicht rechtzeitig festgesetzt. Das Gericht bejahte in weiterer Bewertung des Sachverhaltes sowohl den objektiven wie den objektiven Tatbestand einer Steuerhinterziehung.
(3) Der rückwirkende Wegfall des Steueranspruchs ex tunc nach § 29 ErbStG führt vorliegend nicht zum Entfallen des Tatbestandes einer Steuerhinterziehung. Diese war vollendet und beendet in dem Zeitpunkt, in dem das Finanzamt bei rechtzeitiger Anzeige der Zuwendung einen Schenkungsteuerbescheid bekannt gegeben hätte (herrschende Auffassung in Fällen der Steuerhinterziehung durch Unterlassen nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO). Bei einer Steuerverkürzung auf Zeit spiele der Inhalt des Steuerbescheides grundsätzlich keine Rolle. Ob eine Steuer nicht rechtzeitig festgesetzt wurde, sei ausschließlich eine Zeitfrage. Die nicht zum richtigen Zeitpunkt erfolgte Steuerfestsetzung stellt den Verkürzungserfolg dar. Ob die Steuer dann später zu hoch, zu niedrig oder nicht festgesetzt wird, ist nur für die Frage von Bedeutung, ob zusätzlich zu der Verkürzung auf Zeit eine Verkürzung auf Dauer eintritt oder nicht. Der Eintritt des Erfolges der Steuerverkürzung auf Zeit kann nicht nachträglich dadurch ungeschehen gemacht werden, dass eine Steuerfestsetzung nicht erfolgt. Die Qualifikation als vollendete Steuerstraftat kann nicht nachträglich dadurch ungeschehen gemacht werden.
(4) Steuerschuld und Zinsschuld seien jedenfalls in Bezug auf Hinterziehungszinsen nicht in jedem Fall akzessorisch zueinander. § 235 AO bezweckt einen Zinsvorteil der Nutznießung einer Steuerhinterziehung abzuschöpfen. Die Verzinsung setzt daher den Taterfolg einer Steuerhinterziehung voraus. Insoweit besteht Akzessorietät. Diese bestehe jedoch nicht mehr in Bezug auf die Festsetzung von Steuer- und Zinsschuld. § 235 Abs.3 S.3 sieht bereits vor, dass eine Änderung der Steuerfestsetzung nach Ende des Zinslaufes, unabhängig von der Ursache der Korrektur, die Höhe der Hinterziehungszinsen unberührt lässt. Aus der Akzessorietät bei der Entstehung des Zinsanspruchs folgt daher nicht auch die Akzessorietät beim Erlöschen. Bereits der BFH habe in seinem Urteil vom 28.03.2012 (II R 39/10) entschieden, dass die Steuerfestsetzung keine Bindungswirkung für die Zinsfestsetzung entfaltet. Die Festsetzung von Hinterziehungszinsen richtet sich nicht akzessorisch nach dem festgesetzten, sondern nach dem tatsächlich hinterzogenen Steuerbetrag.
(5) Aufgrund fehlender höchstrichterlicher Klärung dieser Frage für den Fall des nachträglichen Wegfalls des Steueranspruches aufgrund güterrechtlicher Anrechnung (§ 29 ErbStG) ließ das Gericht wegen grundsätzlicher Bedeutung und zur Fortbildung des Rechts die Revision in dieser Sache zu.
FÜR DIE PRAXIS
GÜTERSTANDSSCHAUKEL
Nach ständiger Rechtsprechung des BFH (v. 12.7.2005 BStBl. II 2005, 843) können Ehegatten den Güterstand der Zugewinngemeinschaft durch einen formgerechten Ehevertrag beenden, so dass es zu einer schenkungsteuerfreien güterrechtlichen Abwicklung der bisherigen Zugewinngemeinschaft kommt. Voraussetzung dafür ist der Fortbestand der Ehe. Im Anschluss an die Aufhebung der Zugewinngemeinschaft können die Ehegatten wieder den bisherigen Güterstand begründen. Die als Güterstandsschaukel bezeichnete Gestaltung berücksichtigt die zivilrechtlich zulässige Änderung des Güterstandes im ehelichen Güterrecht. Die Grenze eines Missbrauchs liegt in der Begründung überhöhter Ausgleichsforderung außerhalb güterrechtlicher Vereinbarungen. Die Ausgleichsforderung ohne tatsächliche Beendigung des gesetzlichen Güterstands (der Zugewinngemeinschaft) ist eine steuerbare unentgeltliche Zuwendung. Nach dem BFH-Urteil v. 28.6.2007 (BStBl. II 2007, 785) gilt dies auch, wenn Wirtschaftsgüter zur Abgeltung des Ausgleichsanspruchs übertragen werden.
Bei der Beratung zur Güterstandsschaukel muss, soweit diese zur vermeintlichen Heilung bisher nicht angezeigte Schenkungen an den Ehegatten erfolgen soll, nunmehr die potentielle Rechtsfolge der Festsetzung von Hinterziehungszinsen bedacht und beraten werden. Hier kann aufgrund der ebenfalls langen Zinsläufe eine erhebliche finanzielle Auswirkungen drohen, deren nicht Beratung eine fehlende Aufklärung durch den Rechtsanwalt bedeutet.
STEUERSTRAFRECHTLICHE VERTEIDIGUNG
Die steuerstrafrechtliche Verteidigung sollte nunmehr in ihre Strategie auch die potentiellen Auswirkungen nach § 235 AO mit bedenken. Gerade bei der Verteidigung zum Tatbestandsmerkmal der Steuerhinterziehung besteht nicht selten erhebliches Streitpotenzial, da die Finanzämter sicherlich gerne in Fällen steuerstrafrechtlich verjährter Fälle vorschnell eine historische Steuerhinterziehung annehmen, die für die Festsetzungshinterziehungszinsen nicht nach den Regeln der Strafprozessordnung, sondern nach den finanzverfahrensrechtlichen Vorschriften festgestellt werden kann.