Geschäftsführer und Vorstände haften persönlich für unzureichenden Versicherungsschutz; D&O-Versicherung greift in diesem Fall

#D&O-Recht #Geschäftsleiterhaftung #Schadenberechnung #§ 43 Absatz 2 GmbHG

Das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts vom 26.02.2024, Az. 16 U 93/23, wirft ein Schlaglicht auf die essenziellen Pflichten der Geschäftsführung im Rahmen der betrieblichen Risikovorsorge und des Versicherungsmanagements. In einer Welt, in der Unternehmen zunehmend komplexen Risiken ausgesetzt sind, von Naturkatastrophen bis hin zu Cyberangriffen, hat dieses Urteil besondere Bedeutung. Es betrifft nicht nur die spezifische Situation einer Bäckerei, die einen erheblichen Schaden durch einen Brand erlitten hat, sondern auch die grundlegende Frage, wie sorgfältig Geschäftsführer und Vorstände die Versicherungsdeckung ihres Unternehmens überprüfen und anpassen müssen.

Was war geschehen?

Gegenstand der Entscheidung ist die Klage einer Bäckerei-Betriebsgesellschaft gegen ihre D&O-Versicherung aus abgetretenen Recht.

Nachdem ein Brand erheblichen Schaden verursacht hatte, wurde offenbart, dass die bestehenden Versicherungssummen – sowohl für die Inhalts- als auch für die Betriebsunterbrechungs- und Gebäudeversicherung – nicht ausreichend waren, um den entstandenen Schaden vollständig zu decken. Der Geschäftsführer hatte es versäumt, die Versicherungssummen regelmäßig zu überprüfen und an den tatsächlichen Wert des Anlagevermögens und die Risiken des Unternehmens anzupassen. Diese Nachlässigkeit führte zu einer Deckungslücke, die die finanzielle Erholung des Unternehmens von dem Brandereignis erheblich beeinträchtigte. Insbesondere die Öfen der Bäckerei, die nicht als wesentlicher Bestandteil des Gebäudes angesehen wurden, wurden durch den Brand erheblich beschädigt. Die Inhaltsversicherung wurde im Laufe der Zeit nicht an Neuanschaffungen und Wertentwicklungen angepasst. Selbst bei einem Wechsel des Versicherers und einer Betriebsbegehung wurde der Umfang des Schutzes nicht sachgerecht aufgeklärt. Der Geschäftsführer hat lediglich angenommen, dass die Öfen ausreichend zur Beschädigung oder Verlust versichert seien.

Die Holdinggesellschaft als alleinige Inhaberin der Betriebs-GmbH hatte zugunsten der Geschäftsführung der Betriebsgesellschaft eine D&O-Versicherung abgeschlossen. Nachdem die Gesellschafterversammlung der Betriebsgesellschaft beschlossen hatte, die Geschäftsführung wegen unzureichender Versicherungsdeckung persönlich auf Schadensersatz wegen der durch die Unterdeckung entstandenen Schäden aus § 43 Abs. 2 GmbHG in Anspruch zu nehmen, hat der Geschäftsführer seine Freistellungsansprüche gegen die D&O-Versicherung an die Betriebsgesellschaft abgetreten.

Das angerufene Landgericht Kiel hatte die D&O-Versicherung antragsgemäß verurteilt. Die Versicherung ging in Berufung. Sie erhob eine Vielzahl von versicherungsrechtlichen Einreden in Bezug auf das Versicherungsgrundverhältnis der Gebäude-, Inhalts- und Betriebsunterbrechungsversicherung, sie warf dem Geschäftsführer vorsätzliches Handeln vor, um aus den eigenen AGB-rechtlichen Grundsätzen eine Einstandspflicht abzulehnen und würde letztendlich die Einrede der Verjährung, weil nicht zeitgerecht eine verjährungsunterbrechende Klage gegen den betroffenen Geschäftsführer, sondern nur gegenüber der D&O-Versicherung geführt worden sei.

Die D&O-Versicherung unterlag in allen Punkten.

Wie ist die Entscheidung zu bewerten?

Da weit mehr als 80 % der von den D&O-Versicherungen zu regulieren Fälle im Wege eines Vergleiches zwischen Anspruchsteller und Versicherung abgewickelt werden, ist es aus Sicht der Rechtsanwender begrüßenswert, dass ein Obergericht einmal die Chance hatte, sich relativ detailliert zu Haftungsgründen, Schadensberechnung und prozessualen Feinheiten der Anspruchsabtretung zu äußern.

Recht klar unterwirft das Gericht die Klärung und die Herbeiführung eines ausreichenden Versicherungsschutzes für das Unternehmen einer GmbH dem Verantwortungsbereich der Geschäftsführung. Diese Konsequenz wird man entsprechend auch für den Pflichtenkreis von Vorständen von Aktiengesellschaften nach § 93 AktG zuordnen können.

Die schuldhafte Verletzung dieser Schutzpflicht durch den Geschäftsführer ist grundsätzlich geeignet einen Haftungsanspruch aus § 43 Abs. 2 GmbHG zu begründen. Entsprechend wird dies auch für die Vorstandshaftung aus § 93 Abs. 2 AktG gelten.
Nach Auffassung des Gerichtes führte die Pflichtverletzung klar zu einem Schaden der Gesellschaft in Form eines ungedeckten Sachschadens sowie eines Betriebsunterbrechungsschadens, da für eine bestimmte Zeit die betrieblichen Produktionsmittel nicht vollständig zur Verfügung standen.

Die von der D&O-Versicherung erhobene Vorsatzeinrede warf das Gericht der zu diesem Punkt beweisbelasteten Versicherung als unsubstantiiert vorgetragen zurück.

Auch die Verjährungseinrede überzeugte das Gericht nicht. Der Freistellungsanspruch des Geschäftsführers aus der D&O-Versicherung wandelt sich mit Abtretung in einen Zahlungsanspruch der Gesellschaft gegen den Versicherer. Die Abtretung wird als Leistung erfüllungshalber und nicht an Erfüllung statt gewertet, sodass die Gesellschaft jedenfalls so lange nicht mehr gegenüber dem Geschäftsführer vorgehen kann, wie sie den Versicherer in Anspruch nimmt. Aus der der Abtretung zugrunde liegenden Vereinbarungen muss sich die Gesellschaft an den Versicherer halten. Konkludent haben Gesellschafter und Geschäftsführer einen sogenannten pactum de non petendo geschlossen, der die Verjährung des Haftungsanspruchs gegenüber dem Geschäftsführer für die Dauer der Anspruchsverfolgung gegenüber der Versicherung hemmt.

Welche praktischen Folgerungen lassen sich aus der Entscheidung ziehen?

Aus dem Urteil lassen sich wichtige praktische Empfehlungen für die Geschäftsführung und Vorstände ableiten. Zunächst ist die regelmäßige Überprüfung und Anpassung der Versicherungssummen entscheidend, um eine Unterversicherung zu vermeiden. Unternehmen sollten zudem die Bedingungen ihrer Versicherungsverträge genau verstehen und bei Bedarf Expertenrat einholen. Das Urteil verdeutlicht ferner die Bedeutung von D&O-Versicherungen als Instrument zur Risikoabsicherung für Entscheidungsträger. Die komplexe Interaktion zwischen verschiedenen Versicherungspolicen und internen Vereinbarungen erfordert eine sorgfältige Planung und Kommunikation innerhalb des Unternehmens sowie mit externen Partnern.

Abschließend sei kritisch angemerkt, dass das Urteil die hohen Anforderungen an die Geschäftsführung und Vorstände im Hinblick auf das Risikomanagement in Versicherungsangelegenheiten im Besonderen aber auch in Bezug auf ihre Tätigkeit im Allgemeinen verdeutlicht. Die Entscheidung setzt ein klares Zeichen, dass Unwissenheit oder Vernachlässigung in Versicherungsfragen schwere finanzielle Konsequenzen nach sich ziehen kann. Dies könnte besonders für kleinere Unternehmen oder Start-ups, bei denen die Geschäftsführung oft zahlreiche Rollen gleichzeitig übernehmen muss, eine Herausforderung darstellen. Gleichzeitig spiegelt das Urteil die gesellschaftliche Erwartung wider, dass Unternehmen nicht nur in der Lage sein sollten, Risiken effektiv zu managen, sondern auch eine gewisse Resilienz gegenüber unvorhersehbaren Ereignissen aufzubauen.

Auch wenn es gesellschaftlich aktuell so scheinen mag, kann es gleichwohl keine Lösung sein, sämtliche Risiken einer Kapitalgesellschaft um jeden Preis zu versichern. Hier bedarf es einer klugen und angemessenen Abwägung zwischen Nutzen und Kosten eines Versicherungsschutzes. Andernfalls sind es allein die Versicherer und deren Aktionäre, die an solchen Entscheidungen verdienen. Am Ende bleibt es dann Aufgabe der Rechtsprechung die Kriterien herauszuarbeiten, wann und in welchem Umfang der Abschluss einer Versicherung einer ordentlichen und gewissenhaften Unternehmensführung entspricht und wann nicht mehr. Ohne das Eingehen geschäftlicher Risiken können geschäftliche Chancen nicht realisiert werden. Das angerufene Oberlandesgericht Schleswig-Holstein sei jedenfalls keinen Anlass in diesem Sachverhalt zu diesem Punkt nähere Ausführungen zu machen.

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