Gerichtsstandsvereinbarung und Privatautonomie

Herstellung des Auslandsbezugs im Sinne des Art. 25 Brüssel Ia-Verordnung durch Parteivereinbarung

In einer Entscheidung vom 8. Februar 2024 in der Rechtssache C- 566/22 – Inkreal s.r.o. ./. Dúha reality s. r. o. äußerte sich der EuGH zur Zulässigkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung. Der Fall wies die Besonderheit auf, dass der den Gegenstand des Rechtsstreits bildende Sachverhalt keinerlei Auslandsbezug aufwies, mit Ausnahme der Gerichtsstandsvereinbarung.

Der Sachverhalt lässt sich wie folgt zusammenfassen:

Eine in der Slowakei domizilierte Privatperson begab zwei Darlehen an eine Gesellschaft slowakischen Rechts (Dúha reality). Später wurden die Forderungen von dem Darlehensgeber an eine Gesellschaft mit Sitz ebenfalls in der Slowakei (Inkreal) abgetreten. Die Verträge enthielten jeweils eine Gerichtsstandsvereinbarung, nach der für den Fall einer Streitigkeit ein tschechisches Gericht entscheiden sollte. Das Darlehen wurde von Dúha reality nicht zurückgezahlt, sodass Inkreal Klage auf Zahlung der geschuldeten Beträge vor dem prorogierten tschechischen Gericht erhob.

Das vorlegende tschechische Gericht stellte dem EuGH die Frage, ob diese Gerichtsstandsvereinbarung im Lichte des Art. 25 Brüssel Ia-Verordnung (Verordnung (EU) Nummer 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen) zulässig war. Gemäß Art. 25 Abs. 1 Brüssel Ia-Verordnung können Parteien, unabhängig von ihrem Wohnsitz oder dem Sitz einer juristischen Person, vereinbaren, dass ein von ihnen bestimmtes Gericht eines Mitgliedstaates über eine Streitigkeit entscheiden soll. Zwar erwähnt der Wortlaut der Vorschrift nicht ausdrücklich den Auslandsbezug, jedoch wird dieser in der Rechtsprechung als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal vorausgesetzt. (vgl. EuGH, Urteil vom 1. März 2005, Owusu, C-281/02, EU: C: 2005: 120, Rn. 25; EuGH, Urteil vom 8. September 2022, IRnova, C-399/21, EU: C: 2022: 648, Rn 27, 29). Zu prüfen war daher die Frage, ob bereits der Umstand einer Gerichtsstandsvereinbarung zu dem Gericht eines anderen Mitgliedstaates dem ansonsten ausschließlich nationalen Sachverhalt einen internationalen Charakter und damit den Auslandsbezug verleiht.

Der EuGH betonte in seiner Entscheidung zwei maßgebliche Aspekte, nämlich einerseits den Respekt vor der Privatautonomie der Parteien, die in Gemäßheit des Art. 25 Brüssel Ia-Verordnung mit Ausnahme ausschließlicher oder zwingender Gerichtsstände, die hier nicht im Streit standen, frei sind, eine Gerichtsstandsvereinbarung zu treffen; andererseits die Bedeutung der Rechtssicherheit. Denn gemäß Erwägungsgrund (15) der Brüssel Ia-Verordnung sollen die Zuständigkeitsvorschriften ein hohes Maß an Vorhersehbarkeit bei der Frage der Zuständigkeit staatlicher Gerichte gewährleisten.

Der zweite Aspekt, d.h. die Vorhersehbarkeit und Rechtssicherheit, gebiete es, so weit wie möglich den ersten Aspekt, nämlich die autonome Entscheidung der Parteien, an welchem Gericht sie einen Rechtsstreit führen wollen, zu respektieren. Dies würde aber konterkariert, wenn das vereinbarte Gericht materiell und inhaltlich unter Rückgriff auf den Sachverhalt erst ermitteln müsste, ob ein ausreichender Auslandsbezug vorliegt oder nicht. Die Notwendigkeit der Prüfung der Zulässigkeit der Gerichtsstandsvereinbarung unter dem Aspekt des Auslandsbezuges auf der Grundlage des Lebenssachverhaltes in Ausübung des tatrichterlichen Bewertungsspielraums birgt jedoch notwendigerweise das Risiko widersprüchlicher Entscheidungen, wenn aufgrund von Zweifeln an der Zulässigkeit der Gerichtsstandsvereinbarung verschiedene Gerichte angerufen werden können.

Der EuGH entschied die Frage in dem Sinne, dass sich ein hinreichender Auslandsbezug bereits aus der von den Parteien vereinbarten Gerichtsstandsvereinbarung zugunsten der Gerichte eines anderen Mitgliedstaates als desjenigen, in dem die Vertragsparteien ansässig sind, ergebe. Eine solche Vereinbarung vermittele für sich genommen bereits einen grenzüberschreitenden Bezug des Rechtsstreits, und zwar aus der Erwägung, dass die Parteien selbst durch ihre Rechtswahl den Auslandsbezug hergestellt haben. Daher trägt die Entscheidung einerseits dem Grundsatz der Privatautonomie Rechnung, andererseits gewährleistet diese am Wortlaut der Vereinbarung orientierte formale Auslegung ein sehr hohes Maß an Rechtssicherheit.

Der Entscheidung ist daher uneingeschränkt zuzustimmen.

Allerdings sind Vor- und Nachteile im Kontext einer Rechtswahl bzw. des abseits einer Rechtswahl gemäß Art. 4 Rom I-Verordnung anwendbaren Rechts zu berücksichtigen. Bei Anrufung eines Gerichtes in einem Mitgliedstaat, dessen Recht in dem Streitfall nicht anwendbar ist, ist im Hinblick auf den Wortlaut von Artikel 9 Rom I-Verordnung nicht gewährleistet, dass das zwingende Recht des Ausgangsstaates Anwendung findet. Denn diese Norm bestimmt, dass das Gericht der ausländischen Eingriffsnorm „Wirkung verleihen kann“, aber eben nicht muss (vgl. EuGH, Urteil vom 18. Oktober 2016, Nikiforidis, C-135-15, EU: C: 2016:744). Das kann im Einzelfall zu mehr Rechtsunsicherheit führen als dies der Fall wäre, wenn der Gerichtsstand in dem Mitgliedstaat belegen ist, dessen Recht auf den Fall anwendbar ist.

Abschließend sei zu bemerken, dass aufgrund dieser Entscheidung kein Defizit im Bereich des Verbraucherschutzes zu befürchten steht, denn bei Verbrauchersachen im Sinne von Art. 17 Brüssel Ia-Verordnung sind Gerichtsstandsvereinbarungen, die zulasten des Verbrauchers wirken, gemäß Art. 19 Brüssel Ia-Verordnung erst nach Entstehen der Streitigkeit und nicht bereits mit Abschluss des Vertrages zulässig.

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